Krauthausen entlarvt deutsche Parallelgesellschaft: „Wir werden aussortiert“
Über den Experten
Raúl Krauthausen ist ein deutscher Aktivist, Autor und Moderator, der sich insbesondere für Inklusion und die Rechte von Menschen mit Behinderungen einsetzt. Er wurde 1980 in Lima, Peru, geboren und lebt in Berlin. Krauthausen hat die Glasknochenkrankheit (Osteogenesis imperfecta) und sitzt im Rollstuhl.
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Ashoka-Summit sammeln sich zahlreiche Menschen, die sich für soziale Teilhabe engagieren. Fehlt Ihnen das im Alltag? Wie blicken Sie, einer der bekanntesten deutschen Aktivisten für Menschen mit Behinderung, auf die derzeitige Inklusion in Deutschland?
Raúl Krauthausen: Da ist immer ein permanentes Buhlen um Aufmerksamkeit, weil viele andere Themen ebenfalls wichtig sind. Interessant ist, dass behinderte Menschen oft als Letzte genannt oder als Erste vergessen werden. Beim Thema Klimaschutz werden sie oft gar nicht bedacht. Beim Thema Mobilität und Bildung genau das Gleiche und auch in den Medien fällt auf, dass Inklusion oft genannt wird, ohne Menschen mit Behinderung zu erwähnen. In Vielfaltskontexten und Diversity-Veranstaltungen erhält Behinderung die wenigste Beachtung, und wenn doch, repräsentieren oft nichtbehinderte Menschen die Behinderten. Das ist so schräg wie Männer, die über Frauenrechte reden. Das fällt mir zunehmend negativ auf.
Was glauben Sie, steckt dahinter?
Krauthausen: Ich denke, es gibt verschiedene Dynamiken, die hier wirken. Nichtbehinderte Menschen brüsten sich damit, wie sie sich engagieren. Charity ist ja auch etwas Tolles. Es wäre aber sinnvoller, sich in die zweite Reihe zu stellen, wenn man nicht behindert ist, und behinderte Menschen selbst sprechen zu lassen. Bei Veranstaltungen bin ich oft der einzige mit sichtbarer Behinderung. Der gesellschaftliche Schnitt liegt aber bei 10 Prozent aller Bürger:innen, die eine Behinderung haben.
Dieses kaum Sichtbarsein spiegelt allerdings ein gesamtgesellschaftliches Phänomen wider: behinderte Menschen tauchen im Alltag kaum auf, weil sie größtenteils in Sondereinrichtungen, Sonderschulen und Behindertenwerkstätten aussortiert werden. Eine Parallelgesellschaft, in der angeblich für sie alles besser sei. Sie untereinander seien und sich Tipps geben und über Probleme sprechen können. Nicht ausgeschlossen, überfordert und von der nichtbehinderten bösen Welt beschützt werden.
Eine Parallelgesellschaft, die Sie offenbar ablehnen.
Krauthausen: In Wahrheit schützen wir die nichtbehinderte Mehrheitsgesellschaft davor, sich mit dem Thema Vielfalt auseinanderzusetzen. Das merkt man auch im Umgang mit Menschen mit Migrationshintergrund. Auf dem Land wirst du komischer beäugt, wenn du Schwarz bist, als in der Großstadt.
Ähnlich ist es bei Behinderungen – wenn du immer der erste behinderte Mensch bist, den nichtbehinderte Menschen treffen, lastet die gesamte Aufklärungsarbeit auf deinen Schultern. Wachsen wir jedoch gemeinsam im Kindergarten oder in der Schule auf, wäre der Umgang miteinander viel weiter in der Gesellschaft verbreitet.
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