Gehaltserhöhung
"Wie bekomme ich am schnellsten und am sichersten eine Gehaltserhöhung?"
Diese Frage stellte sich der Büroangestellte Theodor Schibransky. Er hasste die Förmlichkeit, die ewige Antragstellerei, er suchte einen anderen Weg, einen effektiveren, wirksameren, besseren. Und er fand ihn schon am nächsten Tag: Sein sechsjähriger Sohn hatte eine Schaufensterscheibe eingeworfen und kam weinend ins Haus gestürmt. Schluchzend beichtete er die Tat. Schibransky gab sich jedoch mit dieser Beichte nicht zufrieden, er wollte die Hintergründe dieses Missgeschicks wissen. Doch sein Filius beantwortete jede Frage nur mit: "Jawohl, Papa" oder "nein Papa".
Eine Tracht Prügel und ein saftiger Stubenarrest war das Endergebnis.
Die Worte "jawohl Papa; nein Papa" arbeiteten in Schibranskys Kopf, sie brachten ihn auf einen genialen Gedanken. Gleich am nächsten Morgen liess er sich zu einem Gespräch bei seinem Chef anmelden.
Um drei Uhr nachmittags betrat er das Zimmer des Direktors.
"Treten Sie näher, mein Herr - wie war doch gleich Ihr Name?"
"Schibransky, Herr Direktor - Theodor Schibransky."
"Ach ja, Herr Schibransky - bitte nehmen Sie Platz!"
"Jawohl, Herr Direktor."
"Um sofort zur Sache zu kommen, Herr Schibransky, Sie möchten mich, wie mir meine Sekretärin mitteilte, wegen einer Gehaltserhöhung sprechen."
"Jawohl, Herr Direktor."
"Wie ich hier sehe, sind Sie seit zweieinhalb Jahren in meinem Büro beschäftigt und haben ein Bruttoeinkommen von genau 1 639,20 Euro."
"Jawohl, Herr Direktor."
"Sie sind verheiratet und haben zwei Kinder."
"Jawohl, Herr Direktor."
"Bitte unterbrechen Sie mich nicht ständig, Herr Schibransky, ich möchte mir im Augenblick von Ihnen, Ihrer Arbeit und Ihrer Familie ein Bild machen, um zu prüfen, ob Ihre Forderung gerechtfertigt ist."
"Jawohl, Herr Direktor."
Hören Sie bitte endlich auf, "Jawohl, Herr Direktor" zu sagen!"
"Jawo..."
"Seien Sie jetzt still, Herr Schibran... - ach, egal, wie Sie heissen, Sie bringen mich ja total aus dem Konzept, - Sie sind eine gute Kraft und erbringen sehr lobenswerte Leistungen. Abteilungsleiter Schulze beschreibt Sie als einen fleissigen und sehr strebsamen Mitarbeiter."
"Jawohl, Herr Direktor."
"Jawohl, Herr Direktor. Jawohl, Herr Direktor - das hält ja kein Mensch aus. Treiben Sie es nicht auf die Spitze, sonst lernen Sie mich von einer anderen Seite kennen!"
"Jaw..., Herr Direktor."
"Um Himmelswillen, Mann, gehen Sie, gehen Sie schnell, bevor ich mich vergesse. Ihre Forderung ist bewilligt, Sie bekommen Ihre Gehaltserhöhung, aber versprechen Sie mir, nie wieder diese drei verdammten, nervigen Worte in den Mund zu nehmen - und jetzt marsch, an die Arbeit.
"Jawohl, Herr Direktor."
"Hinauuus!"
Schmunzelnd verliess Schibransky das Zimmer.
Auf dem Nachhauseweg am Abend kaufte er eine grosse Tafel Schokolade für seinen Sohn; der zwar Prügel bezogen hatte, trotzdem aber für eine gute Idee belohnt werden musste.
© Horst Rehmann