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RE: Gedichte und Geschichten von Gert
in Gedichte und Geschichten 26.11.2014 16:23von BlattimWind • | 4.578 Beiträge | 8561 Punkte
RE: Gedichte und Geschichten von Gert
in Gedichte und Geschichten 30.11.2014 09:26von Gert • | 1.231 Beiträge | 1560 Punkte
Advent
So viele Lichte scheinen durch die Nacht.
Erleuchtet sind die Fenster sind die Straßen.
Wir haben dieses Leuchten in die Welt gebracht, obwohl wir seinen Ursprung längst vergaßen.
Einst schimmerte ein Licht auf in der Dunkelheit.
Ich saß mit meiner Oma auf der Ofenbank.
Sie hat mir dann erzählt von ihrer Jugendzeit und warm war ihre Stimme und voll Dank.
Sie hat mir auch erzählt vom Sternenlicht,
das über einem Stall vor langer Zeit erschien.
Vom Kind in jenem Stall, nein, das vergess ich nicht, und von der Liebe, die ins Herz will ziehn.
Die Zeiten damals waren ohne Glanz.
Doch voller Wärme war er, der Advent.
Was er bedeutet, das versteht nur ganz, der neben falschem Schein die Dunkelheit auch kennt.
Einen schönen ersten Advent euch allen.
Gert
Furcht ist nicht in der Liebe
RE: Gedichte und Geschichten von Gert
in Gedichte und Geschichten 20.01.2015 09:23von Gert • | 1.231 Beiträge | 1560 Punkte
Zum Anfang dieses Jahres und als Erinnerung an manche Lehre, die wir eigentlich beherzigen sollten aus meinem Zyklus "Deutschland":
Treck
Pferdewagen, Karren und Rad. Wohl dem, der einen Handwagen hat. Der Schnee ist kalt, der Schnee ist tief. Wohl dem, der in seinem Bette einschlief. Für den ist der Treck ans Ziel gekommen. Andere haben das Seine genommen. Andere haben das Seine geteilt, nachdem ihn der eisige Tod ereilt.
Ist es der Preis, den ihr reichlich hier gebt, für die Lehre, das der Stärkste nur überlebt?
Der Treck quält sich über das knirschende Eis. Für den, der sonst den Weg nicht weiß ragen Zeichen aus der gefrorenen Flut. Halte dich dran. Vielleicht geht es gut.
Zeichen? Es ist menschliche Habe, die ihr Ende fand im feuchten Grabe. Menschen und Tiere im Tode vereint. Der Mond durch jagende Wolken scheint. Der Mond bescheint das Elend, die Not. Der Mond bescheint den kalten Tod. Der fragt nicht nach Schuld, nach Würde, nach Macht. Er hat einfach hunderte umgebracht.
Ein Schiff scheint Hoffnung, scheint Zukunft, scheint Glück. Mancher und manches bleibt wartend zurück. Mancher und manches im Mahlstrom zerrieben. Zeilen, gegen das Vergessen geschrieben. Gegen Vergessen, das so einfach oft ist, und das die Lehre von damals vergisst. Wo auch immer der Mensch keine Gnade mehr kennt, da ist nur der Tod noch im Element.
Gert
Furcht ist nicht in der Liebe
RE: Gedichte und Geschichten von Gert
in Gedichte und Geschichten 20.01.2015 14:06von Uschi • | 47.006 Beiträge | 49461 Punkte
@Gert
da hast du in Worte gepackt was ich von meiner Oma und Ihrer Schwester als Kind oft gehört habe.
Sie erzählten vom Krieg und was da geschah und ich hoffe das ich und meine Kinder und Enkelkinder hoffentlich nie erleben muss.
RE: Gedichte und Geschichten von Gert
in Gedichte und Geschichten 30.09.2015 21:31von Gert • | 1.231 Beiträge | 1560 Punkte
Manchmal wehen Geschichten aus der Tiefe der Zeit heran, geboren, kurz vor dem Vergessen und Verfallen:
Jean
Sie wusste, dass ihr Leben zu Ende ging. Seit langem war ihr Geist nicht mehr so klar gewesen. Während ihr Körper reglos da lag, schien er durch die Zeit zu gleiten. Sie erinnerte sich. Sie erinnerte sich an Menschen, an Tage, an Stunden.
Sie erinnerte sich an Jean. Sie spürte nicht, wie ein Lächeln auf ihr Gesicht trat. Sie tauchte ein in die Erinnerung.
Es war 1944. Die Welt war schon lange im Chaos des Krieges versunken. Leid und Tod hatte er unzähligen Menschen gebracht. Auch in ihrem Haus waren Menschen einquartiert, die, vor den Bomben, aus Berlin geflohen waren.
Sie teilte ihren Wohlstand mit ihnen und ihre Tochter spielte mit dem Sohn, den eine der jungen Frauen mitgebracht hatte.
Ihre Tochter, Miriam, die sie allein groß ziehen musste, weil auch ihr Mann weit fort, als Soldat, seinen Dienst tat. Ihr Mann, zehn Jahre älter als sie und dem Soldat sein völlig abhold. Sie hatten ihn zum Wachdienst in einem Gefangenenlager in Ostpreußen kommandiert. Wie fremd er ihr gewesen war, als sie ihn dort besuchte, wie hastig sie sich geliebt hatten. Oh, sie wusste, dass er wohl eine neue Leidenschaft entdeckt hatte.
Aber sie war achtundzwanzig und sie war voller Sehnsucht nach Zärtlichkeit. Sie kannte sich und, ja, sie wusste auch, dass sie gut aussah, schlank, sportlich und manchen Blick auf sich ziehend.
Sie leitete den Betrieb und fuhr mit ihrem Fahrrad über die Felder. Wenn sie angeradelt kam, in ihren knappen Shorts und dem Top, tuschelten die Arbeitsfrauen giftig. Aber die neideten ihr nur ihre Jugend.
Bei ihren französischen Arbeitern waren es schon anzüglichere Bemerkungen, die ihr zugerufen wurden. Die Augen der Männer funkelten vor Lust. Sie spürte das und Schauer durchrieselten sie.
Nur einer war immer ruhig und gelassen. Jean aus Paris sah sie auch an. Aber er stimmte in die Rufe der anderen nicht ein. Sein Blick war nachdenklich und tief. Seine braunen Augen musterten sie und dann sagte er „Bonjour Madam. Es ist ein schöner Tag.“ Oder ähnliche leicht dahin gesagte Floskeln. Abends, bevor die Franzosen wieder ins Lager gingen, kamen sie manchmal bei ihren Eltern in der Gaststätte vorbei. Dann tranken sie ihr Bier und manchmal redeten sie mit ihrem Vater, der im ersten Krieg in Frankreich gewesen war. Manchmal sangen sie auch und dann hörte Miriam ihnen zu und strahlte. Auch hier war es Jean, zu dem ihre Tochter Vertrauen gefasst hatte. Sie, die sonst sehr scheu war, ließ sich von ihm in die Luft werfen und juchzte voller Freude.
Einmal hatte Jean sie gerettet, als sie in den Floßgraben, der die Grenze ihres Grundstücks bildete, gefallen war. Er hatte dort gemäht und sie war hin gelaufen und die Böschung herab gerutscht. Als Jean sie ihr brachte, waren Miriams Tränen schon getrocknet. Vertrauensvoll hatte sie ihm die Ärmchen um den Hals gelegt. „Das war knapp, Madame.“ sagte er nur. Sie sah ihn, den Mann, seine breite Brust, das Spiel der Muskeln unter der gebräunten Haut, seine starken Arme, die nun, sehr vorsichtig, das Kind zu Boden setzten. Ihre Blicke trafen sich und in seinen braunen Augen entstand ein Funke, der sie aufleuchten ließ. Als sie ihm, dankend, die Hand reichte, führte er sie an seine Lippen. Ihr Körper reagierte sofort und das war, da sie keinen BH trug, kaum zu übersehen. Als er sich umwandte, um zu gehen, sah sie an seiner Uniformhose, dass auch sein Körper deutlich reagiert hatte.
Mit ihrer Tochter ging sie dem Haus zu. Sie wusste, dass sie sich auf gefährlichen Terrain bewegte. Nicht etwa wegen ihres Mannes, der ja dort, fern von ihr, sein eigenes Leben führte. Wohl aber, weil sie nicht wusste, ob ihr solche Gefühle nicht als Rassenschande ausgelegt werden könnten. Sie wusste, was einer Frau im Ort passiert war, die sich in einen Polen verliebt hatte, der als Arbeiter auf ihrem Gut war.
Als sie an diesem Abend einschlief, sah sie Jean vor sich und es waren keine ruhigen Träume, die sie hatte.
Eine Weile hielt sie sich von ihm fern. Sie fuhr nicht mehr hinaus. Aber da sie ja die Verantwortung für den Betrieb trug ließ es sich schließlich nicht mehr vermeiden. Sie traf die Franzosen auf einem Feld, nahe des großen Forstes. Jean war nicht bei ihnen. Es war ein Stich ins Herz, ihn nicht zu sehen. Piere Baptist, ein Friseur aus Paris meinte, das Jean sich leicht an der Hand verletzt hätte und wohl erst morgen wieder kommen würde.
Als sie zuhause war, wusste sie, dass sie ihn wollte, dass sie ihn begehrte. Unvernünftig war dieses Begehren, aber es hauste in ihrem Herzen und wuchs und wuchs. „Jean!“ kam es stöhnend von ihren Lippen. Ihre Mutter, die rüber gekommen war, sagte: „Ist was, Kind?“ „Nein, nein,“ sagte sie schnell. „Du solltest nicht so rumlaufen.“ meinte ihre Mutter, „Was sollen denn die Leute von dir denken. Du bist doch nicht so eine.“ Sie antwortete nicht.
Am Abend trieb es sie noch einmal raus. Die Sommerwärme stand in der kleinen Stadt und waberte über die Felder.
Mit dem Fahrrad fuhr sie zum großen See. Dort sprang sie ins Wasser, schwamm ihre Strecke. Dann fuhr sie am Waldrand entlang. Die Sonne sank langsam. Nun ging es durch die Wiesen und an der Schonung entlang, die sie hatte anpflanzen lassen. Am Hang zur Ziegenweide saß Jean in der Abendsonne. Sie sprang vom Fahrrad. Achtlos ließ sie es fallen und lief auf ihn zu. Er war aufgestanden. Sein kräftiger Körper hob sich gegen den Hang ab und wurde von der tief stehenden Sonne in ein warmes Licht getaucht. Im sonnenverbrannten Gesicht blitzten seine weißen Zähne, als er lächelte. Er trug ein Pflaster an der linken Hand. Seine Arme öffneten sich und sie ließ sich hemmungslos in diese Arme sinken. Sie spürte seinen Geruch, frisch und doch männlich herb und seine Arme wiegten sie. „Mon amour.“ Sie sanken ins Gras und ihre Münder fanden sich und ihre Körper fanden sich und sie wünschten beide, dass es nie enden würde.
Es endete nur zu bald. Im Strudel des großen Endes wurden sie beide, wie Blätter im Sturm auseinander geweht.
Sie wusste, dass ihr Leben zu Ende ging. Es war ein langes und ein gutes Leben gewesen. Es war ein Leben gewesen, das Leid und Leidenschaft gekannt hatte. Wer würde sie hinter der letzten Tür erwarten? Ihre erschlaffenden Lippen formten ein Wort. „Jean.“
.......................................................
So entsteht aus einem kleinen vergilbten Foto ein Schatten des Lebens.
Gert
Furcht ist nicht in der Liebe
RE: Gedichte und Geschichten von Gert
in Gedichte und Geschichten 22.12.2015 09:53von Gert • | 1.231 Beiträge | 1560 Punkte
Heiliger Abend – heilige Nacht
Geboren in einem Abbruchhaus. Maria gerad fünfzehn Jahr. Vielleicht sieht heut so der Erlöser aus, ein Knabe im lockigen Haar.
Geboren in Armut, geboren in Not, geboren im Elendstal. War es nicht einstmals genau so gewesen, in Betlehem, im Stall?
Doch über dem Stall erstrahlte ein Stern inmitten der dunklen Nacht. Gott hat zu denen, die verloren und klein, seine ganze Liebe gebracht.
Als Kind in der Krippe am Rande der Welt hat er sich zu erkennen gegeben. Er wollte ganz einfach bei uns sein und hilft uns einfach zu leben.
Es zählen nicht Reichtum, nicht Macht und nicht Geld. Es zählt nur der Liebe Licht. Das sagt dieses Kind der Heiligen Nacht. Mensch, vergiss das ja nicht.
Geboren in einem Abbruchhaus. Ihr Lieben, was wissen wir schon! Wo immer sich Hoffnung mit Liebe vermählt, sieht der glaubende Mensch Gottes Sohn.
Gert
Furcht ist nicht in der Liebe
RE: Gedichte und Geschichten von Gert
in Gedichte und Geschichten 27.02.2016 21:50von Gert • | 1.231 Beiträge | 1560 Punkte
In Erinnerung an einen meiner Vorfahren - nach einer wahren Begebenheit
Das Kirchenbuch
"Ach, ihr lieben Bauern mein," sprach der Herr Pastor, "muss denn dieses Buch wohl sein? Ich schlage euch was vor."
Das Kirchenvolk, es saß ganz still und hört dem Pfarherrn zu und fragte sich, was er wohl will. Der blinzelte in ruh.
"Weil mit der Zeit doch alles hin, was wir auf Erden sein, macht es vor Gott gar keinen Sinn, schreibt man`s in Bücher ein.
Wer auch getauft, getraut, gestorben, ir wisst es und Gott auch. Vor ihm und uns ist nichts verdorben, ändern wir alten Brauch."
Das Bauernvolk hielt sich für klug und so fiel der Beschluss, dass man ein neues Kirchenbuch nun nicht mehr kaufen muss.
Da niemand ihn je visitiert und Prüfung vorgenommen, ist einfach gar nichts dort passiert. Keiner Hat´s mitbekommen.
Erst als der Pfarrer dann, nach Jahren, vom Tod dahingenommen, hat seine Kirche auch erfahren, das nichts ins Buch gekommen.
Gert
Furcht ist nicht in der Liebe
RE: Gedichte und Geschichten von Gert
in Gedichte und Geschichten 29.02.2016 21:23von Gert • | 1.231 Beiträge | 1560 Punkte
Tja, aber hast Du schon mal überlegt, was so ein Buch einst gekostet hat?
Das sind ja nicht eben schmale Heftchen und dann zumeist in Leder gebunden.
Mein Vorfahre, oben in der Uckermark hat damals, es war wohl im 17. Jh. genau diesen Beschluss, gemeinsam mit seinen Bauern, die ja das Geld hätten aufbringen müssen, gefasst.
So ungefähr vierzig Jahre lang wurde dort nichts eingetragen. Das ist für Ahnenforscher heute schon recht enttäuschend, denke ich mal.
Gert
Furcht ist nicht in der Liebe
RE: Gedichte und Geschichten von Gert
in Gedichte und Geschichten 25.03.2016 09:36von Gert • | 1.231 Beiträge | 1560 Punkte
Es ist Karfreitag. Hier eine Geschichte:
Leben
„Hast du eine Freundin?“ fragte er. Ich schüttelte den Kopf. Wir gingen über einen Hof. Holzbalken lehnten an einer Wand. „Gar keine Frauen in deinem Leben?“ Er grinste. „ Manchmal in der Taverne.“ grummelte ich. Seine Hand strich über einen der Balken. „Der hier wird dir so nah sein, wie eine willige Frau.“ Ich erschauerte. Es waren die Querbalken der Kreuze, an denen wir am nächsten Tag hängen würden. Der Legionär sah mich schief von der Seite her an. „Hast Glück, Barrabas. Ihr werdet nicht drei Tage hängen. Du verstehst. Bist ja Jude. Das Passah ist wirklich eure Befreiung.“
Dann schob er mich in eine Zelle.
Ein Schemel, eine Pritsche, ein Eimer. Ich war allein. Allein mit meinen Gedanken und der Angst, die in mir hochstieg. Der Balken würde morgen auf meinen Schultern lasten auf dem Weg nach Golgatha. Er ist die Last meines Lebens, meines Versagens.
Die Nacht kam, meine letzte Nacht auf Erden. Gefangen, verurteilt, gehenkt.
Durch das enge Luftloch sah ich ein Stück Himmel. Erst war es noch rot gewesen, als die Sonne unterging. Rot wie das Blut, das ich vergossen habe, dachte ich. Dann wurde es dunkelblau und dann schwarz. Nach einer Weile flimmerte ein Stern genau in der Öffnung und ich sah ihn an Der Schlaf floh mir in dieser letzten Nacht meines Lebens.
Wer bin ich? Barrabas werde ich genannt. Ich bin unfrei geboren. Meine Mutter war Sklavin in einer Taverne in Bethlehem. Mein Vater? Ich habe ihn nicht kennengelernt, er war vermutlich der Besitzer des Gasthauses. Aufgewachsen bin ich bei einem Hirten der Gegend, dem man mich überlassen hatte. Er nannte mich Jeschuah. Der Rest eben Barrabas, Bar Abbas, Sohn des Herrn. Der Hirt Simon war zu mir wie ein Vater. Er lehrte mich alles, was er wusste und brachte mich auch in die Synagoge. Ich kann lesen, mit dem schreiben hapert es, aber was sollte ich auch aufschreiben – bis jetzt.
Mein Vater – das war Simon nun mal für mich, lehrte mich neben dem Geschäft des Schafhütens, auch den Umgang mit Schleuder, Hirtenstab und Dolch. Und er erzählte mir von einem Stern, dem Stern von Bethlehem, wie er ihn nannte und der Gottesschau, die er und seine Mitstreiter gehabt hatten, als ich noch in den Windeln lag.
Er sprach von Engeln und von Frieden auf Erden und von Gottes Sohn, dem Erlöser. Ich hörte nur mit einem halben Ohr hin, denn es war weder friedlich noch sonst angenehm. Die Arbeit war hart und mein Vater oft genug jähzornig. Das wurde ihm eines Tages auch zum Verhängnis. Ich weiß nicht mehr, um was es ging, aber erst flogen die Fäuste, dann die Messer und dann lag er in seinen Blut.
Das war der Moment, an dem ich floh. Ich war jung und heißblütig und verrückt nach Taten, wie sie einst Judas Makkabäus getan hatte, der gegen die Griechen gekämpft und unser Land befreit hatte. Ich dachte, ich könnte ein Mann, wie er werden. Ich schloss mich den Zeloten an. Wir planten Israel zu befreien und unser Anführer Joseph von Galil, wie er sich nannte, träumte von einem Reich, wie es einst König David errichtet hatte.
So war ich dabei, als gegen den neuen Procurator demonstriert wurde und erhielt meine ersten Hiebe mit einem römischen Knüppel. Aber mir ging das alles nicht weit genug. So wurde ich Sikarier, einer der Messermänner, die auf einsamen Straßen römische Patrouillen überfallen und auch mal einen Kaufmann, denn von irgend etwas muss man ja leben. Ja, an meinen Händen klebt Blut. Es war ja so leicht, ein Leben auszulöschen und sich das zu nehmen, was man brauchte. Ich weiß jetzt, das unser politischer Anspruch nur eine leere Hülle war, eine Maske, die unser eigentliches Werk verbarg. Wir waren nichts als Räuber und Mörder.
So kam es, wie es kommen musste. Wir waren zu dritt und liefen in eine Falle, die uns die Römer gestellt hatten. Meine Kameraden liegen ein paar Zellen weiter.
Wenn die Sonne aufgeht, würden wir sterben. So schien es gewiss.
Als dann der Morgen da war, ich war doch in einen unruhigen Schlaf gefallen, kam einer der Legionäre und brachte mir einen Kanten Brot und einen kleinen Krug Legionärswein. „Komm, stärke dich. Du hast heute deinen großen Tag.“ Ich hatte Hunger und es war eh alles egal. Also verschlang ich den Kanten und trank den sauren Wein in kleinen Schlucken.
Die Zeit verging. Draußen war Unruhe. Ich hörte Geschrei. Was mochte da los sein? Dann hörte ich das Klatschen der Geißel und das Stöhnen eines Mannes. Wieder Stille. Ich betete zaghaft zu unserem Gott, zu unserem Vater. Lange hatte ich es nicht getan. Not lehrt beten hatte mal jemand gesagt und ich war in Todesnot. Das ich um meine Schuld wusste, machte es nicht leichter. Mir graute vor dem Holz.
Die Tür flog auf. Der Legionär, der mich am Abend hier her geführt hatte, fesselte meine Hände, dann zog er an dem Strick und sagte: „Komm, der Herr will dich draußen sehen.“ Was sollte das? Was wollte der Pontier von mir? Es war doch alles gesagt, das Urteil stand fest. Oder?
Ich wurde gefesselt nach draußen ins Licht geführt. Da saß Pontius Pilatus, der Herr über Leben und Tod in der Provinz Judäa auf einem Stuhl und sah ausgesprochen erbost aus. Im Hof sah ich eine Menge Menschen, vielleicht achtzig, neunzig aufregte, gerötete, bärtige Gesichter, unter ihnen das bekannte Gesicht des Kaiphas und das seines Schwiegervaters Hannas. Oh, der wäre beinahe mal von meinem Dolch getroffen worden. Hat Glück gehabt, der alte Sack. Aber was wollten die hier?
Ich hörte den Procurator sagen: „Nun, mein lieber Kaiphas, ihr habt ja morgen euer Passahfest. Ich weiß, das das etwas mit Befreiung zu tun hat. Damit ihr erkennt, wie Rom euch liebt (seine Stimme troff dabei von Hohn) will ich euch einen Gefangenen frei lassen. Sehnt es als Geste meines guten Willens an. Ihr habt die Wahl. Da ist der Mörder Barrabas. Er hat auch manchen Juden auf dem Gewissen, wie ich sehr wohl weiß. Dort steht Jeschuah, der Rabbi, den einige König nannten. Ich habe ihn für eure Anmaßung, ihn so zu nennen mit der Peitsche genug strafen lassen. Ich halte ihn für unschuldig. Welchen wollt ihr nun frei sehen?“
Unruhe entstand unter denen, die während der Procurator gesprochen hatte, gelauscht hatten. Dann rief Hannas als erster: „Gib Barrabas frei!“ Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen. Von dem Rabbi Jeschuah, dem Nazarener hatte ich nur gutes gehört. Warum wollte der alte Zausel mich? Aber sein Ruf war der Auslöser. Aus siebzig, achtzig Kehlen tönte es: „Barrabam, Barrabam!“
Der Pontier war tiefrot angelaufen. „Was soll mit Jesus werden?“ Er benutzte den griechischen Namen. Wie aus einem Munde tönte es ihm entgegen: „Ans Kreuz!“
„Aber er ist unschuldig!“ schrie Pontius Pilatus empört. „Kreuzige, kreuzige, kreuzige!“ skandierte die Menge und es hörte sich an, wie Geheul der Hölle. Ich war erschrocken. Was sollte das? Ich war doch der Verbrecher, nicht der. Ich sah zum ersten mal zu ihm rüber. Da stand er, blutend, einen Kranz aus Dornzweigen auf dem Kopf. Er war nicht stark, nicht wie ein Herrscher. Er war ein Rabbi, ein Lehrer des Wortes Gottes. Er würde kaum die Kraft haben, den Balken zu tragen. Unsere Blicke trafen sich und ich staunte über die Ruhe, die in seinen Augen lag und ein kleines Leuchten, das mir tief in die Seele schnitt. Da stand einer, der wirklich königlich war, denn er stand über dieser grotesken Situation. Pilatus war aufgesprungen. Er schien kurz vor einem Wutausbruch zu sein. Bevor er explodierte, hob Kaiphas die Hand und es trat Stille ein. „Procurator,“ sagte er, „wir haben gesagt, der hat sich als König ausgegeben. Du solltest das ernst nehmen, Wir haben keinen König, als den Cäsar Tiberius, der auf Capri ist. Lässt du diesen Jeschuah gehen, bist du nicht mehr Freund des Cäsar.“
Pilatus wandte sich ab. Dann rief er einen Sklaven. „Bring mir eine Schüssel mit Wasser.“ Als der Sklave die Schüssel brachte, wusch sich Pilatus sorgsam seine Hände, trocknete sie an einen hingehaltenen Tuch ab. Dann nahm der die Schüssel aus den Händen des Sklaven und ließ sie auf den Steinboden fallen, wo sie zerbarst. Er blickte zu dem Rabbi und seufzte. Schließlich wandte er sich der Menge zu: „Im Namen des Cäsar Tiberius, hiermit wird dem Barrabas die Freiheit geschenkt. Man löse seine Fesseln und lasse ihn seines Weges ziehen. Jesus von Nazaret, du König, im Namen des Cäsars Tiberius verurteile ich dich zum Kreuz, wie es meine Pflicht zum Schutze Roms ist.“
Der Legionär, der mich gefesselt hatte kam, zog seinen Dolch und schnitt meine Fesseln durch. „Da hast du mehr Schwein, als Verstand gehabt. Aber lass dich nicht noch mal erwischen, dann warten wir nicht auf ein Urteil, dann hast du guten römischen Stahl in den Rippen.“ sagte er und ging. Er ging zu dem Rabbi hinüber. Der sah mich noch einmal an, der ich offenen Maules dort stand und kaum begriff, wie mir geschah. Er nickte mir freundlich zu und da begriff ich: Ich war frei. Ich war begnadigt. Das Holz meiner Schuld und meiner Schande würde er tragen, ein Mensch, der nie jemandem etwas zuleide getan hatte.
Gert
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RE: Gedichte und Geschichten von Gert
in Gedichte und Geschichten 06.07.2016 14:41von Gert • | 1.231 Beiträge | 1560 Punkte
Fragen über Fragen
Er saß am Schreibtisch und polierte seine Fingernägel. Das machte er immer, wenn er nachdachte. Wenn er nicht recht weiter wusste. Ihm war völlig klar, dass es ein Tick war. Aber, mal ehrlich, wer hatte denn keinen?
Mona, oder Monique? Zwei Frauen, beide auf ihre Art faszinierend. Beide hungrig nach einem Blick, nach einer Berührung von ihm.
Über den Monitor flimmerten Aufnahmen, die eine der Kameras aus dem Aufstandsgebiet sandte. Menschen schlachteten sich dort gegenseitig ab. Die Gründe waren schon lange aus dem Blick geraten. Es schien pure Grausamkeit, die sie trieb. Er hatte kaum einen Blick für die Bilder. Monique oder Mona? Beide lebten nicht weit von ihm, in der gleichen Stadt, in der jetzt sein Büro war. Seine Lippen kräuselte ein dünnes Lächeln. Wie grausam konnte so eine Entscheidung auf einem Mann lasten. Nur gut, dass keine wusste, wo er zu finden war. Ein Bau, der verborgen war, konnte eine ganz schöne Hilfe sein. Irgendwo flog etwas großes in die Luft, das Grollen der Explosion war eher zu spüren, als zu hören. Da ging jemand ziemlich zur Sache.
Mona oder Monique? Er überlegte. Beide waren dunkelhaarig (was in Zeiten der Herrschaft der Chemie nichts heißen musste.) Mona war ein wenig größer und schwerer gebaut. Monique war zierlicher, hatte aber die größeren Brüste, was er als Pluspunkt vermerkt hatte. Er grinste jetzt. Auf dem Monitor sah er, dass ein ganzer Straßenzug in Flammen stand. Wer dafür verantwortlich war, ließ sich nicht ausmachen.
Monique oder Mona? Manche Entscheidungen sind nicht leicht. Monique war in der Lage Sappho auf Griechisch zu rezitieren. Das war faszinierend. Mona hatte einen Fuhrpark mit Stretch - Limousinen. Er hatte schon in einer gesessen. Besser, als ein Humber. Sein Humber stand vor der Tür. Vielleicht würde er ihn bald brauchen. Wieder eine Detonation, ein wenig näher. Der Boden vibrierte.
Mona oder Monique? Warum wurde er das Gefühl nicht los, dass die beiden sich kannten? War es die Ähnlichkeit ihrer Bewegungen, die Ähnlichkeit, wie sie manche Dinge zum Ausdruck brachten? Oder die Tatsache, dass sie, gleich ihm, ihren Scotch pur tranken? Monique hatte er im „Imperial“ kennen gelernt, wo sie, ziemlich allein an der Bar saß. Mona, als er ein Fahrzeug für den Minister gesucht hatte, der eben keine Humber liebte. Hm, sie war recht taf gewesen und hatte dem Ministerium einiges an Geld abgenommen. Sein Handy schrillte: „Sir, wir bauen ab. Es ist Zeit.“
Monique oder Mona? Er schaltete den Laptop aus und packte ihn in seinen kleinen Koffer. Dann öffnete er eine Schublade des Schreibtischs und nahm seine Derringer heraus. Er kontrollierte sie und steckte sie in die Tasche seiner Lederjacke. Er stand auf. Die Tür öffnete sich. Loreen kam auf ihn zu. Ihre Lippen fanden sich. Loreen, groß, blond, Stabsfeldwebel und die Seine seit Jahren. „Komm schon, oder willst du dich hier abknallen lassen? Die Typen kennen keine Verwandten mehr.“ Ihre Stimme klang schwer und rauchig. Die Tür fiel hinter ihnen zu.
Mona oder Monique? Die Frage blieb hinter ihm zurück, zusammen mit dem Polierset für seine Fingernägel auf dem Schreibtisch.
Gert
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RE: Gedichte und Geschichten von Gert
in Gedichte und Geschichten 12.12.2016 06:46von Gert • | 1.231 Beiträge | 1560 Punkte
Es ist wieder einmal Weihnachtszeit. Auch Zeit der Geschichten.
die hier schrieb ich vor einigen Jahren:
Licht, Leben, Liebe
Eisiger Sturm zog heulend über die Steppe. Schnee trieb durch die froststarre Luft. In dem Bunker, der in die Balka gewühlt worden war, kauerten sich drei um einen erbärmlichen Ofen. Einige Hindenburglichter erhellten nur unzureichend den engen Raum. Hin und wieder bebte die Erde, weil schwere russischen Granaten mehr oder weniger nah einschlugen.
Der eine, ein altgedienter Feldwebel hob den Kopf. „Kinder, es ist heuer Weihnacht.“ Seine Stimme klang rau. Der zweite, auch ein alter Hase hob sein, vor der Zeit ergrautes Haupt. „Und? Sollen wir jetzt „Stille Nacht singen?“ Der dritte schwieg. Er war neu. Neu im Krieg und neu hier, in Stalingrad.
„An was denkt ihr an so einem Tag?“ fing der Feldwebel wieder an. „An was schon?“ meinte der andere. „An zuhause, an meine Frau, an die Kinder und...“ Er verstummte. „Ja.“ sagte der Feldwebel, „und das wir sie wohl nicht wiedersehen werden.“
Sie schwiegen.
Dann fing der andere an. „Drei hab ich. Zwei Mädels und einen Buben. Er ist nun schon vier. Weihnachten saßen wir alle zusammen in der guten Stube. Die Großeltern waren rüber gekommen. Wir waren gemeinsam in der Kirche gewesen. Es gab keine große Bescherung, das Geld war knapp, aber gut zu essen gab es. Die Lichter am Weihnachtsbaum brannten. Es war warm. Wir lebten zufrieden an diesem Tag. Spät abends ging ich dann in den Stall, gab den Tieren, damit auch für sie Weihnachten war.“
Der Feldwebel hob den Kopf. „Ich bin nicht so fromm. Meine Meta und ich, wir haben aber auch am heiligen Abend den Gottesdienst besucht. Wir waren ja in der Garnison zuhause. Abends saßen wir zusammen, mein Sohn ist jetzt vierzehn, und haben uns am Weihnachtsbaum gefreut und Radio gehört. Später dann habe ich oft noch meine Runde gemacht, auch wenn ich nicht Dienst hatte, um in den Stuben vorbei zu sehen bei denen, die nicht nachhause fahren konnten.“
Der dritte schwieg. Er blickte auf die Lichter. Seine Hände waren zusammengekrampft.
„Und du?“ fragte der andere. Der dritte hob seinen Kopf. Aus den Augen seines Jungsgesichtes sprach Qual. „Ich bin im Heim gewesen, bis sie mich gezogen haben.“ Mehr schien ihm nicht nötig. Sie schwiegen. Der dritte zog sich in seine Erinnerungen zurück, wie die anderen. Vor seinem inneren Auge stand das Jahr seiner Einberufung. Der Drill in der Kaserne, der Schleifer, der ihn und die anderen über den Acker gejagt hatte. Dann hatte er Ausgang. In der Kirche des Standortes suchte er Ruhe zu finden. Nicht, das er besonders fromm gewesen wäre, aber es trieb ihn einfach in den Raum. Es war Adventszeit gewesen und er sah den Adventskranz vorn stehen. Still setzte er sich in eine Bank. Da begann die Orgel zu tönen. „Leise rieselt der Schnee...“ erkannte er. Er machte sich ganz klein in seiner Bank und genoss die Töne, die ihn umrieselten. Advents- und Weihnachtslieder, nicht dröhnend, sondern sehr zart kamen sie daher. Dann ein neues Lied, das er bisher nicht so gehört hatte. Eine helle Mächenstimme dazu: „Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern. So sei nun Lob gesungen dem hellen Morgenstern. Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein. Der Morgenstern bescheinet auch seine Angst und Pein.“ Er blickte nun doch zur Empore hoch. Der Blick der jungen Frau traf ihn. „Ich hoffe, ich habe sie nicht gestört.“ „Nein, es war wunderschön.“ erwiderte er. Später hatten sie in einem kleinen Kaffee zusammen gesessen. Einige Male hatten sie sich noch getroffen, dann wurde seine Einheit an die Ostfront verlegt. Als sie sich das letzte Mal sahen, um Abschied zu nehmen, gab sie ihm den Text des Liedes mit, das sie bei ersten Mal gesungen hatten. Dann fanden sich ihre Münder zu einem ersten und gleichzeitig letzten Kuss. „Komm wieder.“
Er hob die Augen. Stockend begann er zu sprechen. „Wir haben uns kennengelernt, bevor ich fort musste. Es ist jetzt ein Jahr her. Mir scheint es eine Ewigkeit. Sie gab mir ein Lied mit, ein Adventslied.“ „Sing es uns doch vor, wir haben sonst eh nichts zu tun.“ sagte der andere. Der Feldwebel nickte.
Dann erklang die klare Stimme des Jungen in der sturmdurchtosten eisigen Nacht. Die Worte, die Jochen Klepper kurz vor dem Kriege gedichtet hatte, woben ihren Zauber um die drei, dort in dem Bunker bei Stalingrad. „Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und Schuld. Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld. Beglänzt von seinem Lichte hält euch kein Dunkel mehr. Von Gottes Angesichte kommt euch die Rettung her.“
Gert
Furcht ist nicht in der Liebe
RE: Gedichte und Geschichten von Gert
in Gedichte und Geschichten 24.12.2016 09:03von Gert • | 1.231 Beiträge | 1560 Punkte
Vor einigen Wochen bekam ich Post aus Rom. Es war eine Truhe. Sie war mir nicht unbekannt, stand sie doch viele Jahre in der Villa meines Großvaters, des Tribun Marcus Sabinus Larcius, in der Bibliothek.
Nun gehört sie mir. Wer denkt, sie würde wohl einen Schatz enthalten, der irrt nicht. Wer aber meint, es wären klingende Münzen, der irrt sehr wohl.
Ich meine, sie enthält etwas, was wertvoller ist, als Geld. In ihr befindet sich das Leben meines Urgroßvaters, der mit den Legionen des Imperiums weit herum gekommen ist und, wie kaum ein anderer, nicht müde wurde, die Denkwürdigkeiten dieser Züge aufzuschreiben.
Für mich ist es besonders interessant, dass er, nicht weit von meinem neuen Wohnsitz, in der Provinz Palästina, einige Zeit stationiert war.
Damals hieß die Provinz noch Judäa, aber nach dem letzten Aufstand dieses störrischen Volkes gegen unseren erhabenen Cäsar Traianus, gibt es sie so wenig, wie deren Hauptstadt, Jerusalem.
Ein Stück Land und ein Gut wurde mir, als ich aus der sechsten Legion ausschied, hier zugesprochen.
Es lebt sich gut und meine Ehefrau, die ich aus Germanien mitgebracht habe, freut sich über die Wärme, die hier herrscht.
Mein Name ist Titus Larcius und ich habe meine Jahre als Centurio gedient.
Ganz in der Nähe meines Landgutes liegt der kleine Ort Bethlehem. Die religiöse Gruppierung der Christianier oder Christusanhänger, wie sie sich nennen, haben dort einen kleinen Tempel errichtet. Er soll an die Geburt dessen erinnern, der ihrem Glauben den Namen gab.
Es sind friedliche Menschen, die in den Häusern und eben dort, in ihrem kleinen Heiligtum, zum Gebet zusammen kommen und ich bin ein toleranter Mensch. Vermutlich hätte ich mich auch um all das nicht weiter gekümmert, wenn ich, in den Schriften meines Vorfahren, nicht einige Papyrusblätter gefunden hätte, die mit „Judäa“ überschrieben waren.
Da wurde deutlich, dass er, kurz nach dem Ende des Bürgerkrieges, an einer Volkszählung im Imperium teilgenommen hatte und ihn dieser Dienst in die Unruheprovinz Judäa führte.
Als ich diese Blätter las, erfuhr ich, dass er hier, in Bethlehem, Station gemacht hatte. Er kommandierte die Wache eines Tribunen, der dort die Erfassung durchzuführen hatte.
Der Tribun hieß Varro und gemeinsam hatte man eine gute Woche gebraucht, all die Menschen in die Listen einzutragen, die eine familiäre Beziehung zu Bethlehem hatten.
Er berichtet, wie eines späten Tages, es war schon dunkel geworden, ein junges Paar in die Herberge oder Karawanserei kam, und um Quartier bat. Die Frau hoch schwanger, beide schon lange unterwegs, durch ganz Samarien waren sie gewandert. Finanziell stand es auch nicht gut um sie.
Schließlich kamen sie, nach Intervention des Tribunen, im Stall unter. Dort brachte die junge Frau einen Sohn zur Welt.
Mein Urgroßvater hatte die Nachtwache übernommen. Aber lassen wir ihn doch selbst zu Worte kommen:
Es war Zeit für mich, die Runde zu machen. Ich gürtete mein Schwert und nahm den Mantel vom Haken, denn es war frisch geworden. Dann trat ich aus dem Tor. Bethlehem ist ein friedlicher Ort, so dass ich auf Panzer und Helm verzichten kann. Wir waren in all den Tagen nicht von irgendwelchen Zeloten belästigt worden. Ich ging durch den dunklen Ort. Über mir brannten die Funken der unzähligen Sterne. Ein leichter Wind ging, der recht kühl war und ich zog den Mantel am Hals zusammen. Ein Hund kläffte verschlafen. Ein dunkler Schatten huschte über die Straße zwischen den Gehöften, mochte wohl eine Katze sein.
Einsam schritt ich meine Runde. Die Gedanken wanderten. Der Schein der Sterne wob seinen Zauber um diese Stunde. Es gab Menschen, die meinten, die Sterne wäre Götter. Andere dachten, es wären Lichter,die an den Sphären, die unsere Erde umgeben, befestigt sind. Wunderschön ist er jedenfalls, dieser Schimmer, den man gerade hier besonders zu sehen meint.
Ansonsten lag die Welt still und friedlich um mich gebreitet, die Menschen schliefen.
Das es Momente des Friedens auch in dieser Provinz des Imperiums gibt, erschütterte mich direkt. Vor allem, weil ich wusste, wie wenig friedlich Menschen sonst sind.
Derweil war ich am Rande Bethlehems angekommen. Hier war der Stall, in den wir das junge Paar geschickt hatten. Ich blieb einen Moment stehen. Da hörte ich den Schrei eines Säuglings.
Leise ging ich weiter. In solch intimen Momenten muss man nicht stören, dachte ich mir.
Während ich am Rand des Ortes entlang ging, und noch darüber nachsann, warum Kinder so oft in der Nacht geboren werden, sah ich ein Leuchten in der Ferne. Neugierig ging ich darauf zu. Ich kam hinaus zu den Gemeindeweiden. Hier waren die Schafe eingepfercht. Hirten waren in der Nähe und ich hörte einen der Hunde anschlagen. Da kam er auch schon an, ein ziemlicher Brocken, wie ein Molosser so groß. Ich blieb stehen. Der Hund auch. Dann ließ er mit einem „Wuf“ von mir ab.
Das Licht, das ich von fern gesehen hatte, hing am Himmel. Es erinnerte mich an ein Nordlicht, dass ich vor einiger Zeit, im Norden Galliens gesehen hatte. Es flackerte und flammte und nahm in seiner Intensität zu. Jetzt schien der Himmel bogenförmig zu strahlen und zu flackern, als ob eine der Sphären sich geöffnet hätte.
Der helle Schein fiel auf die Schafe und die Männer, die bei ihnen waren. Die Männer fielen auf die Knie und bargen ihre Gesichter in den Händen. Leuchtende Schemen und Schatten waberten in der Glut des Himmelsbogens. Ein derartiges Schauspiel hatte ich noch nirgendwo gesehen und wir hatten das Imperium doch ein Stück weit durchwandert.
So stand ich da und starrte dort hin, wo sich der Himmel geöffnet hatte. Welch eine Erfahrung.
Schließlich erlosch das Schauspiel und die Dunkelheit kehrte wieder. Es blieb nur ein Lichtfunken zurück, ein Stern, der neu geboren aus diesem Licht, über Bethlehem stand.
Die Hirten waren sehr geschäftig geworden und packten in ihrem Lager einiges zusammen. Dann brachen sie auf. Mich hatten sie nicht gesehen und ich folgte ihnen, denn ihr Aufbruch stand gewiss mit dieser Erscheinung in Zusammenhang.
Sie zogen schnurstracks zu dem Stall. Dort traten sie ein. Nun hielt es auch mich nicht.
Im Stall war das junge Paar und das Kind, dessen Geburtsschrei ich vorhin gehört hatte. Es lag, in saubere Tücher eingeschlagen, in der Futterkrippe. Die Hirten übergaben dem Paar ein Fell, Milch, Käse, einen Brotlaib. Dann knieten sie, wie vorhin auf dem Feld, nieder und betrachteten das Kind. Welch eine Ehrfurcht in diesen, durch die Härte des Lebens geprägten Gesichtern stand.
Es war ein Kind. Ich wünschte mir eine Familie und Kinder. Aber so etwas besonderes ist ein Kind doch nicht.
Als die Hirten den Stall verließen, griff ich mir einen Nachzügler. Er war erst erschrocken, aber ich beruhigte ihn. Sein Griechisch war recht ordentlich. Er sprach von Engeln und dem Reich Gottes, das offen stand. Dann meinte er, dass dieses Kind der, von den Juden, erwartetet Maschiach sei. Die Engel hätten gesungen. Nun, ich hatte nichts gehört. Er sagte mir die Worte, die ihm wichtig waren: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden, bei den Menschen, an denen er Wohlgefallen hat.“
Nun, ich führe, als Legionär, ein eher friedloses Leben. Wie kann ein Gott daran Wohlgefallen haben, es sei denn Mars. Aber ich zweifle, ob es ihn und die anderen Götter gibt.
Jedenfalls war das eine der bemerkenswertesten Wachen, die ich je gegangen bin. Aus diesem Grund habe ich sie aufgeschrieben. Später kamen sogar Astrologen aus dem fernen Assyrien und besuchten das Kind. Unser Tribun hatte sie an seinen Tisch geladen. Er erzählte später, dass diese drei Männer einer uralten Prophezeiung der Juden gelesen hatten und hier ein Kind geboren sein soll, das die Welt verändern würde.
Ja, so hat es mein Vorfahre zu Papyrus gebracht und nun sehe ich, dass dieses Kind seine Spuren in unserem Imperium hinterlassen hat.
Nein, ich bin nicht sonderlich religiös. Doch meine Frau, Bertha, interessiert sich für das, was unsere Nachbarn glauben. Es sind zum Teil Griechen, die sich hier angesiedelt haben, aber auch einige Ägypter.
So haben wir mal bei einem ägyptischen Kaufmann nachgefragt, warum denn dieser Christus verehrt wird. Er erzählte mir eine sonderbare Geschichte. Geboren als Kind in Bethlehem, war er im Galil, weit weg von hier in einem Ort, namens Nazareth, aufgewachsen.
Er war später ein jüdischer Rabbi und Wundertäter gewesen und, wie mir mein Gegenüber berichtete, Sohn Gottes. Auf meine Frage, welcher Gott denn sein Vater sei, meinte er, es würde nur einen Gott geben. Am ende aber sei er von einem seiner Getreuen verraten worden und von den Anführern des jüdischen Volkes, in Jerusalem verhaftet und den Römern zur Hinrichtung übergeben worden.
Da muss er wohl einen Fehler gemacht haben, meinte ich. Der Ägypter jedoch sagte, das wäre alles so von Gott geplant worden. Nur durch den Tod – er wurde ans Kreuz geschlagen, konnte er die Schuld aller Menschen ablösen. Er hat sich geopfert. Am dritten Tag aber wurde er von seinem Vater auferweckt.
Es war eine interessante Geschichte. Aber auch sehr merkwürdig. Welcher Gott würde so etwas tun? Welcher Gott hätte sein Kind erst heranwachsen lassen und dann ermorden lassen?
Nachdenklich ging ich zurück und wir ritten zu unserem Gut.
Aber vielleicht finde ich ja noch eine Antwort. In der Truhe meines Vorfahren ruhen noch etliche Papyri und Pergamente.
Gesegnete Weihnacht!
Euer Gert
Furcht ist nicht in der Liebe
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